Prolog
Die Lage in der Seefahrt hatte sich inzwischen derart verbessert, daß nun nicht mehr genügend Personal mit Patenten zur Verfügung stand. Es wurden hohe "Kopfprämien" von den Reedereien für die Abwerbung von Patentinhabern anderer Reedereien ausgesetzt.
Ich kehrte nach dem Studium zu meiner alten Reederei zurück, für die ich am 8. Juli 1960 mit 21 Jahren als jüngster 2. Ingenieur der christlichen Seefahrt auf der "BARBARA" meinen Dienst bis zum 15.12.1960 antrat. Das Schiff kannte ich bereits von meiner Assizeit. Mein Vorgänger war leider nicht mehr an Bord, der mir noch ein paar wichtige Informationen hätte geben können.
Technische Daten:
Stückgutfrachter
Gebaut 1953
Rheinstahl-Nordseewerke, Emden
Rheinstahl-Nordsee-Werke,Emden
Baunummer: 263
4.410 BRT/5.570 tdw
Länge: 114.1m / Breite:15.56m
Schiffsrumpf genietet
Geschwindigkeit: 14,5 Knoten
Besatzung: 32 Mann
Rufzeichen: DIFC
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MS "BARBARA"
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Chronik:
Gebaut für Hugo Stinnes Zweigniederlassung Hamburg
Zwischen 1971 und 1980 weiterverkauft an verschiedene Eigner in Panama und Singapur
1982 nach Indien zum Abbruch
Mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Gert Uwe Detlefsen Bad Segeberg aus dem Buch "Die Stinnes Reedereien"
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Größenverhältnis: Mensch/Motor
Mit freundlicher Genehmigung von Caterpillar Motoren, Kiel
MaK 10 M 581
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Antriebstechnik:
Zwei MaK Viertakt Zehnzylinder Tauchkolbendieselmotoren, 385mm Kolbendurchmesser, 580mm Hub, Turboaufladung, direkt umsteuerbar, je 1.800 PSe bei 300rpm, hydraulische Vulcankupplungen, drehzahlreduziert über Vulcangetriebe auf 115rpm der Propellerwelle
3 MaK Hilfsdiesel, 220 V Gleichstrom
Untersetzungsgetriebe
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MaK-Fahrstand.
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Die Maschinencrew war überwiegend älter als ich, daher benötigte ich viel Einfühlungsvermögen, um mir den nötigen Respekt zu verschaffen. Meine erste Tätigkeit bestand darin, einen Überblick über den täglichen Arbeitsablauf zu erhalten. Beim Verlassen des ersten Hafens traten nun die von mir aus der Assizeit befürchteten Schwierigkeiten auf. Das Bedienen der Hauptmaschinen in der Manöverfahrt blieb stets den Ingenieuren vorbehalten. Jetzt als Ingenieur gehörte es zu meinen Aufgaben und dabei hatte ich nie zuvor die Maschinen bedient, also auch keine Ahnung davon. Die Hauptmaschinen wurden mit Druckluft von 30 bar gestartet. Dieses erforderte ein gewisses Geschick. Auch das Umsteuern der Motoren in die entgegengesetzte Drehrichtung erfolgte mit Druckluft durch Verschieben der Nockenwelle. Dies durfte nur im hundertprozentigen Stillstand der Motoren erfolgen. Das Getriebe hatte nur die Funktion der Drehzahlreduzierung von 300 rpm der Dieselmotoren auf 115 rpm der Propellerwelle.
1 Karibik-Reise von Juli bis September 1960 in Charter für KNSM Koninklijke Nederlandsche Stoomboot Maatschappij, Amsterdam
Deutschland
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Niederlande
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Belgien
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Frankreich
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Cuba
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Jamaika
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Haiti
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Domrep
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Kolumbien
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Costa Rica
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Honduras
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Guatemala
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Reiseverlauf: |
Diese Reise fuhren wir in Charter für die KNSM, Royal Netherlands Steamship Co (Koninklijke Nederlandsche Stoomboot Mij.) von Hamburg, Bremen, Amsterdam, Antwerpen und Le Havre mit Stückgut aller Art in die Karibik und nach Zentral-Amerika.
Wir liefen die Häfen Havanna/Kuba, Kingston/Jamaika, Port-au-Prince/Haiti, Ciudad Trujillo (das heutige Santo Domingo)/Dominikanische Republik auf der Insel Hipañola, Santa Marta, Baranquilla und Cartagena in Kolumbien, Puerto Limon/Costa Rica, Puerto Cortez/Honduras und Puerto Barrios/Guatemala an.
Als wir Europa verließen, verabschiedete uns der Luxusliner
"United States" der
United States Lines
| Begegnung in Le Havre mit dem schnellsten Schiff der Welt und Inhaber des "Blauen Bandes" die SS "United States"
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Info Charter: |
Bei einer Charter stellt der Eigner, in diesem Fall die Reederei Hugo Stinnes, das betriebsbereite, ladefähige und bemannte Schiff dem Charterer für eine bestimmte Zeit zur Verfügung. Verrechnet wird pro Nutzungstag zu einem fest vereinbarten Preis. Der Eigentümer ist jedoch für den korrekten technischen Zustand des Schiffes verantwortlich. Bei einem technischen Defekt geht das Schiff "off-hire" und der Charterer braucht für diese Zeit nicht zu zahlen. Bei Verspätungen, z.B. durch schlechtes Wetter, liegt die Verantwortung beim Charterer.
Wenn es der Charterer wünschte, wurde der Reedereischornstein in die Farben des Charterers umgemalt.
Kuba nach Fidel Castro's Machtergreifung |
Nach der Machtübernahme von Fidel Castro hatte sich in Kuba viel verändert. Die Beziehungen zu den USA lagen auf Eis. Es durften auch keine US-Dollar mehr ins Land eingeführt werden. Wir wussten aber, dass der Schwarzmarktwert des Dollar ein Vielfaches über dem des Peso lag. Diese Tatsache beflügelte uns, den US-Dollar ins Land zu schmuggeln. Wir steckten die zusammengerollten Dollarscheine in die vom Tabak entleerten Zigarettenhülsen , versahen diese am anderen Ende des Filters mit etwas Tabak und steckten sie dann wieder in die Packung zurück. Das Passieren des Zolls verlief problemlos.
In den Hafenkneipen, die früher voller Leben waren, herrschte jetzt eine niedergeschlagene Stimmung. Auch das
"süße Leben" gab es kaum noch. Wenn ich mich nach bestimmten Personen erkundigte, erfuhr ich, dass viele das Land verlassen hatten. Die Dollar, die wir auf den Toiletten heimlich tauschten, sollten als Flucht- und Bestechungsgeld dienen.
In Port au Prince empfing uns eine Armada von kleinen Händlerbooten.
Händler im Hafen von Port-au-Prince
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Von den Händlern kaufte ich diese Holzschnitzerei, die noch heute in unseren Besitz ist.
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Ich kann mich noch gut an einige Behausungen der Einheimischen erinnern. Es waren nur Hütten aus alten Brettern zusammengefügt und von innen gegen Ungeziefer und Blicke der Fremden mit Zeitungspapier beklebt. Nirgends war die Armut so groß. Zu jener Zeit wurden viele dieser Länder von Militärdiktaturen mit besonders harter Hand regiert. Zum Beispiel in Haiti "Papa Doc" und in der Dominikanischen Republik "Rafael Trujillo Molina". Das einzig Positive bestand darin, dass sich die Kriminalität auf einem sehr niedrigen Niveau befand. Man konnte zu jeder Tag- und Nachtzeit gefahrlos durch die Städte spazieren.
Anmerkung |
Fast genau nach 50 Jahren habe ich im Fernsehen die Bilder der Erdbebenkatastrophe von Haiti, insbesondere von Port au Prince verfolgt. Es hat sich nichts verändert, die gleichen Hütten und Armut wie damals. Es gibt auch kein zweites Land in Südamerika, das so afrikanisch durch seine Sklaven geprägt ist. Liegt es an der Mentalität der Bevölkerung oder wird das Land, weil es dort wirtschaftlich nichts zu holen gibt, einfach ignoriert?
Im "Blue Moon" von Santa Marta machte ich die Bekanntschaft eines Schamanen. Er erzählte mir viel über die von ihm verwendeten Blätter und Kräuter aus dem Regenwald. Da die Botanik eines meiner Hobbys ist, faszinierte mich sein Wissen derart, dass ich immer mehr wissen wollte. Irgendwann erzählte er mir folgendes: "Viel hilft nicht immer viel, kleine Mengen sind meist viel wirksamer. Als Beispiel nannte er eine gewisse Kräutermixture, deren Namen ich vergessen habe. "Bei der Einnahme einer kleinen Menge kannst Du gut schlafen und bist am nächsten Tag wieder munter, nimmst Du aber eine zu große Dosis, wirst Du vielleicht für immer schlafen". Diese Unterhaltung sollte mir später noch von großem Nutzen sein.
Meine ersten Monate als 2.Ingenieur |
Mit zunehmender Reisedauer begann ich, hier und da einiges zu verändern. Mich störten zum Beispiel die vielen Blechdosen unter tropfenden Rohrleitungen. Diese Leckagen wurden nun umgehend beseitigt. Am Fahrstand und in der Werkstatt befanden sich sehr übersichtige Werkzeugtafeln, jedoch das Werkzeug lag überall herum, oder es war in die Bilge gefallen.
Foto: B. Engelmann
So einfach, ohne großen technischen Aufwand, war früher die Verständigung zwischen Maschine und Brücke - und es funktionierte auch
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Diesem Unwesen habe ich schnell ein Ende bereitet. Ordnung ist auch Sicherheit, insbesondere auf einem Seeschiff. Der Rhythmus zum Reinigen von Separatoren und Filtern wurde geändert. Auch wurden die ersten Wartungsarbeiten durchgeführt. Das Personal hatte sich schnell an das neue System angepasst, da es in vieler Hinsicht die Arbeit erleichterte. Es blieb jedoch nicht ganz aus, dass hin und wieder ein Stopper, das heißt der Ausfall einer Maschine zwecks Reparatur, vorkam. Da wir in Charter unterwegs waren, musste die Schiffsführung unverzüglich darüber informiert werden, wie lange die erfordrtliche Reparatur dauert. Diese wiederum teilte es dem Charterer mit, da unsere Reederei für die "off-hire" aufzukommen hatte. Aufgrund dieser präzisen Aussagen über die Dauer der Reparaturarbeiten, zu denen die Vorgänger scheinbar nicht in der Lage gewesen sind, gewann ich mir meine ersten Sympathien beim Kapitän.
Durch kontrolliertes Überwachen jedes einzelnen Zylinders, verbunden mit rechtzeitigen Kolbenziehen - leider auch auf See - haben wir Kolbenfresser, wie früher üblich, verhindert. Ich machte mir über die Laufzeiten und den Verschmutzungsgrad der Kolben nebst Kolbenringe exakte Aufzeichnungen. Mein Ziel war es, in Zukunft den Zeitraum des Kolbenziehens von ca. 2000 Stunden Laufzeit - entspricht alle 4 Monate - auf 6000 Stunden - entspricht jährlich - zu erhöhen.
Bei unserer Rückkehr nach Hamburg erhielt ich für meine erste Reise von der Reedereiinspektion ein Lob. Vom Charterer bekam ich einen Umschlag mit einigen Gulden-Scheinen zugesteckt. Ich war darüber nicht nur stolz, sondern fühlte mich auch in meiner Arbeit bestätigt.
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1 Reise ins Mittel- und Schwarze Meer von September bis Oktober 1960 in Charter für DLL Detsche Levante Linie, Hamburg
Deutschland
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Niederlande
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Belgien
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Portugal
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Spanien
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Frankreich
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Türkei
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Rumänien
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Bulgarien
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Eine weitere Reise führten wir in Charter, und zwar diesmal für die DLL (Deutsche Levante Linie) durch. Die Route verlief über Leixoes und Lissabon in Portugal, Cartagena und Barcelona in Spanien, Marseille/Frankreich, Istanbul/Türkei, Varna/Bulgarien sowie Constanza/Rumänien.
An Leixoes kann ich mich aufgrund seines kilometerlangen und seinerzeit einsamen Strandes recht gut erinnern. Vielleicht ist er heute genau so zugebaut wie bei uns die Costa del Sol. Im Stadtzentrum haben wir uns den
"MagoS", einen in Sektflaschen abgefüllten Perlwein, schmecken lassen.
Es bot sich an, von hier aus einen Abstecher in die Nachbarstadt
Porto zu unternehmen. Porto ist im Gegensatz zu Leixoes eine auf einem Hügel terrassenförmig angelegte Stadt, die dominiert wird von ihrer berühmten Brücke "Ponte Dom Luis I". Die malerische Altstadt ist heute Weltkulturerbe und ihre schönen alten Bodegas ziehen sich unten am Douro-Fluss entlang. Als ich in einer der vielen Bodegas ein Gläschen Portwein genoss, lernte ich dort einen Rechtsanwalt kennen, der einige Kilometer flussaufwärts am Douro ein Weingut besaß. Zu vorgerückter Stunde fragte er mich, ob ich Interesse an der Portweinherstellung habe. Natürlich war ich neugierig und so verabredeten wir uns für den nächsten Tag. Er holte mich vereinbarungsgemäß mit seinem PKW ab. In seiner Begleitung befand sich eine hübsche junge Frau von ca. 20 Jahren. Die Fahrt ging über abenteuerliche Serpentinen, immer mit Blick auf den tief unten liegenden Douro, die Berge hinauf zu den Weingütern. Ich schaute mir das Herstellungsverfahren an und war mehr als erstaunt darüber, dass die Trauben von Frauen mit nackten Füßen zertreten wurden. Da mein Gastgeber hier und da ein Gläschen seines Weines probierte, bat er mich, mit seinem Fiat 600 zurückzufahren. Nach einigem Hin und Her setzte ich mich ans Steuer und ehe ich mich versah, befand sich die junge Dame doch tatsächlich neben mir. Unterwegs erteilte mir mein Gastgeber noch ein paar Ratschläge und Verhaltensregeln, denn zu jener Zeit regierte in Portugal der Diktator António de Oliveira Salazar. Zur eigenen Sicherheit sollte man es also nach Möglichkeit vermeiden, irgendwo negativ aufzufallen.
Aber wie das Leben so spielt, wurde ich von der Polizei angehalten. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich überhaupt den Führerschein bei mir hatte, und wenn ja, dann wäre er zur damaligen Zeit sowieso nur in Deutschland gültig gewesen. Jedoch das Glück war mal wieder auf meiner Seite, ich durfte weiterfahren.
Den Abend verbrachten wir erneut in einer der Bodegas in Porto. Die junge Dame und ich kamen uns dabei näher, die gegenseitige Sympathie war sehr groß. Nach meiner Bemerkung, dass dies heute für mich der letzte Tag in Leixois bzw. Porto ist, schien sie sehr traurig und als ich ihr erzählte, dass mich die Reise nun nach Lissabon führt, entgegnete Sie spontan, dass wir uns dort wiedersehen.
In Lissabon angekommen, war ich gespannt, ob Marina-Antoinette P. mir tatsächlich gefolgt war. Am späten Nachmittag - es war kaum zu glauben - stand sie mit einer Begleitperson an der Pier. Wir verabredeten uns für den Abend zu einem Essen in der Altstadt. Auch Lissabon mit seinen historischen Gebäuden und der Straßenbahn begeisterte mich. Wir verbrachten gemeinsam einige sehr nette Stunden und verabredeten uns erneut für den kommenden Tag.
Am nächsten Morgen kamen einige Hafenarbeiter mit der neuesten Tageszeitung zu mir und fragten mich, ob das nicht die junge Frau ist, die gestern bei mir war. Dabei zeigten sie auf ein Foto in der Zeitung. Auch ich erkannte sie sofort wieder. Sie wurde von der Polizei gesucht, stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie in Paris und hielt sich bei ihrer Großmutter in Portugal zu Besuch auf. Von dort war sie verschwunden. Diese Nachricht verunsicherte mich sehr aufgrund der damals in Portugal herrschenden Diktatur, so dass ich es vorzog, mich nicht mehr mit ihr zu treffen. Ich war erleichtert, als wir schließlich den Hafen verließen. Danach habe ich noch sehr oft an Marina-Antoinette gedacht und auch Post nach Paris geschickt. Wir haben aber nie wieder etwas voneiander gehört.
In Barcelona war es ein Muss, am Tage über die Ramblas zu flanieren, die Markthalle zu besuchen und am Abend in einer der vielen Hafenkneipen zu verweilen.
Istanbul hat mich begeistert, insbesondere die "Blaue- bzw. Sultan-Ahmet-Moschee", die "Hagia Sophia", der Bazar "Capali Carsi" mit seinen vielen Goldschmuckläden und die hölzerne "Galata-Brücke" aus dem Jahre 1912. Hier konnte man gemütlich sitzen und dem regen Treiben auf den Fischerbooten und Fähren zusehen. Die Fischer landeten ihre frisch gefangenen Sardinen an, die auf alten Ölfässern gebraten und dann in Zeitungspapier eingewickelt verkauft wurden. Ich habe nie wieder in meinem Leben so leckere Sardinen gegessen. Leider ist diese Holzbrücke im Jahr 1992 abgebrannt und durch eine moderne ersetzt worden. Die Fahrt durch den Bosporus ins Schwarze Meer fand immer nur im Konvoi in eine Richtung statt. Im Kriegsfall konnte der Bosporus mit schwimmenden Minenbarrieren zugezogen werden.
In Bulgarien und Rumänien habe ich vom Landgang abgesehen. Die Reedereiagentur hatte uns davon abgeraten, weil damals unter kommunistischer Diktatur ein striktes Nachtausgehverbot für Ausländer herrschte. Bei Nichteinhaltung dieses Gesetzes konnte man sehr schnell und für längere Zeit im Knast landen.
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US-Ostküste/US Golf von Oktober bis Dezember 1960 im Liniendienst für Stinnes.